PM 16.06.2025 zum Thema Bedrohung der Verfahrensvielfalt in der Psychotherapie
PM_20251606_Bedrohung der Verfahrensvielfalt i.d. Psychotherapie
Bedrohung der Verfahrensvielfalt in der Psychotherapie
Der bkj fordert die Sicherstellung der verschiedenen psychotherapeutischen Verfahren in der Ausbildung, in der Lehre an den Hochschulen und in der Forschung
Die Delegiertenversammlung des Bundesverbandes für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie (bkj) vom 14.06.2025 sieht eine zunehmende Verengung der Vermittlung von psychotherapeutischen Verfahren und eine Dominanz der Verhaltenstherapie mit weiter gravierenden Folgen für die psychotherapeutische Versorgung der Bevölkerung.
Psychotherapie lebt von den unterschiedlichen therapeutischen Verfahren, die als Richtlinienverfahren derzeit mit der Psychoanalyse, der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie, der Verhaltenstherapie und seit neustem auch mit der systemischen Familientherapie wissenschaftlich anerkannt sind und praktiziert werden.
Obwohl im Psychotherapeutengesetz die Ausbildung zum Psychotherapeutengesetz über alle anerkannten Psychotherapieverfahren geregelt ist, ist seit vielen Jahren eine Einengung auf die Verhaltenstherapie festzustellen, da insbesondere an den Universitäten / Hochschulen die Lehrstühle für Klinische Psychologie fast ausschließlich mit Hochschullehrern besetzt sind, die eine Approbation in der Verhaltenstherapie besitzen. Demzufolge wird auch in der Lehre und Forschung dieser therapeutische Ansatz vertieft, während die Forschung in den anderen Verfahren kaum noch stattfindet. Daraus ergibt sich eine strukturelle Benachteiligung psychodynamischer und systemischer Ansätze in Forschung und Lehre.
Dies hat auch für andere Bereiche, wie z.B. der Erarbeitung von Leitlinien zur Behandlung psychischer Störungen, eklatante Folgen. Unsere Mitarbeit in verschiedenen Leitlinienkommissionen zeigt wiederholt, dass die Evidenzbasis, auf die sich die Behandlungsempfehlungen stützen, nahezu ausschließlich aus Studien zur Verhaltenstherapie besteht. Dabei bilden Leitlinien eine zentrale Grundlage für Behandlungsentscheidungen. Sie werden von interdisziplinären Fachgesellschaften in langwierigen, diskursiven Prozessen unter Rückgriff auf wissenschaftliche Evidenz erarbeitet, konsentiert und regelmäßig aktualisiert. Für viele Störungsbilder existieren eigene Leitlinien, differenziert nach Altersgruppen. Dennoch besteht ein eklatanter Mangel an kontrollierten Studien zur Wirksamkeit psychoanalytischer, tiefenpsychologisch fundierter und systemischer Behandlungsverfahren im Kindes- und Jugendalter. In der Folge werden diese Verfahren in Leitlinien selten oder nur randständig berücksichtigt, was zu dem Eindruck führen kann, sie seien weniger wirksam. Dieses forschungsbedingte Ungleichgewicht gefährdet die methodenpluralistische Versorgung und die individuelle Passung psychotherapeutischer Heilbehandlung.
Dabei sind psychodynamische und systemische Verfahren in der Behandlung psychischer Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter ebenfalls wirksam. Je nach Störungsbild, Alter und Kontext können diese Verfahren sogar die einzige angemessene Therapieoption darstellen – etwa, wenn familiäre Dynamiken im Vordergrund stehen oder ein tieferes Verständnis unbewusster Prozesse für den psychotherapeutischen Zugang entscheidend ist.
Jedoch wird sich ohne gezielte Förderung universitärer Forschungskapazitäten in diesen Verfahren, inklusive der Schaffung entsprechender Professuren mit klinischer Anbindung und Zugang zu Drittmitteln, dieses Ungleichgewicht nicht beseitigen lassen.
Auch die PsyFaKo (Psychologie-Fachschaften-Konferenz), die bundesweite Interessenvertretung der Psychologiestudierenden in Deutschland, hat im Jahr 2024 die Notwendigkeit hervorgehoben, dass fachliche Kenntnisse (inkl. spezifischer Fachkunde) und praktische Kompetenzen im vermittelten Therapieverfahren notwendige Voraussetzungen für hochwertige und verfahrensübergreifende Lehre seien müssen. Sie fordert daher eine bessere Ausstattung der Universitäten mit qualifizierten Lehrenden insbesondere aus den unterrepräsentierten psychodynamischen und systemischen Verfahren. Die Studierenden selbst kritisieren die einseitige Forschungslandschaft und sprechen sich für eine gerechtere Repräsentanz aller wissenschaftlich fundierten Verfahren in Studium und Forschung aus.
Weitere Folgen dieses Ungleichgewichts bilden sich aktuell in der Zulassung von Weiterbildungsstätten nach dem reformierten Psychotherapeutengesetz heraus, wo ebenso die VT-orientierten Anträge aufgrund der Verortung an den Hochschulen durch die bestehenden Hochschulambulanzen im Vorteil sind. Dies könnte im Weiteren dazu führen, dass es in Zukunft deutlich weniger ausgebildete Psychotherapeuten geben wird, die über eine Fachkunde in den anderen Richtlinienverfahren verfügen werden und bedeutet gleichzeitig eine Verengung des Versorgungsangebotes für psychisch kranke Menschen.
Als verfahrensübergreifender Berufsverband schätzen wir die Qualifikation aller approbierten Kolleg*innen. Aufgrund des deutlichen Ungleichgewichts in Forschung und Lehre, welches sich zulasten der psychodynamischen und systemischen Verfahren auswirkt,
fordert der bkj:
- die Sicherstellung der Vermittlung aller relevanten wissenschaftlich anerkannten Psychotherapieverfahren in der Ausbildung (Studium) und der Weiterbildung, wie es auch im Psychotherapeutengesetz steht,
- eine gezielte Förderung von Wirksamkeitsforschung zu psychodynamischen und systemischen Verfahren in der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie,
- die Schaffung/Berufung universitärer Professuren mit klinisch-forschender Ausrichtung in diesen Verfahren,
- sowie eine ausgewogene Repräsentanz aller Richtlinienverfahren in Forschung, Lehre und Leitlinienarbeit.
Nur durch methodenpluralistische Forschung kann eine evidenzbasierte, bedarfsgerechte und individuell passende psychotherapeutische Versorgung aller Kinder und Jugendlichen gewährleistet werden.
Für Rückfragen:
Dr. Inés Brock-Harder Stephan Osten, M.Sc.Psych.
brock-harder@bkj-ev.de osten@bkj-ev.de
mobil 0049 (0) 170 36 32 365