Stellungnahmen

PM 02.12.2025 zum Thema „Stellungnahme: Weiterbildung realistisch finanzieren – Bundesregierung schönt Zahlen zur Refinanzierung von Psychotherapeut*innen in Weiterbildung“

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Stellungnahme

Weiterbildung realistisch finanzieren – Bundesregierung schönt Zahlen zur Refinanzierung von Psychotherapeut*innen in Weiterbildung

Der Bundesverband für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie (bkj) kritisiert die Antwort der Bundesregierung zur Finanzierung der Psychotherapeut*innen in Weiterbildung (PiW) auf die Frage von Dr. Kirsten Kappert-Gonther (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN, durch den Parlamentarischen Staatssekretär Tino Sorge (CDU), als unvollständig und wirklichkeitsfremd.

Die am 21. Oktober 2025 vorgelegten Rechenbeispiele zur Refinanzierung der PiW im ambulanten und stationären Bereich bilden den tatsächlichen Arbeitsalltag und die realen Kosten der Weiterbildung nicht ab.

EBM-Sätze reichen nicht – Rechnung verkennt Praxis

Nach Auffassung der Bundesregierung sei die Weiterbildung durch die Abrechnung psychotherapeutischer Leistungen über den Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) bereits „adäquat“ finanziert. Der EBM sieht für eine psychotherapeutische Einzelsitzung nach der Psychotherapie-Richtlinie derzeit eine Vergütung von 116,62 Euro je vollendete 50 Minuten vor. Daraus leitet die Bundesregierung rechnerisch monatliche Einnahmen von 7.813 bis 14.927 Euro pro PiW ab, ohne dabei urlaubs- und krankheitsbedingte Ausfälle einzurechnen. Diese Zahlen sind zwar formal korrekt, jedoch ökonomisch irreführend und fachlich unvollständig.

„Die Bundesregierung verwechselt theoretische Abrechnungslogik mit der Realität in der Weiterbildung. Allein die als Minimum angegebenen 17 Behandlungsstunden pro Woche sind sowohl im ambulanten wie auch im (teil-)stationären Setting der Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie deutlich zu hoch angesetzt. Selbst wenn diese Anzahl via Gruppensettings erreicht werden könnte, sind diese geringer finanziert. Die errechneten Mindesteinnahmen abzüglich Lohnnebenkosten genügen somit nicht zur Refinanzierung der tariflichen Lohnkosten. PiW arbeiten zudem nicht eigenständig wie approbierte Psychotherapeut*innen (nach altem Ausbildungssystem), sondern unter Anleitung, in Weiterbildungssituationen, mit Zeitanteilen für Supervision, Selbsterfahrung und Theorie. Diese Ressourcen sind nicht abrechenbar – müssen aber finanziert werden“, erklärt Stephan Osten, stellvertretender Vorsitzender des bkj.

Realität der Weiterbildung: Weniger Behandlungen, mehr Anleitung

Im stationären Bereich steht der Behandlungsanteil der PiW deutlich hinter anderen Aufgaben zurück: Umfangreiche Vor- und Nachbereitungen, Visiten, Fallbesprechungen, Teamkonferenzen, interdisziplinäre Abstimmungen sowie insbesondere im Kinder- und Jugendbereich notwendige Bezugspersonengespräche und Hilfekonferenzen aus den Systemen Schule und Jugendamt/Jugendhilfe prägen den Alltag. Auch im ambulanten Setting sind Supervision und Selbsterfahrung fester Bestandteil der Weiterbildung – sie reduzieren die abrechenbare Therapietätigkeit erheblich.

Eine Gleichstellung mit approbierten Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*innen und Psychologischen Psychotherapeut*innen, wie sie implizit in der Regierungsantwort anklingt, ist fachlich nicht gerechtfertigt.

Zudem verschweigt die Bundesregierung, dass die Anleitung der PiW in Kliniken und Ambulanzen durch approbierte Psychotherapeut*innen zusätzliche Arbeitszeit und Personalbindung verursacht (gemäß Weiterbildungsordnung u.a. die persönliche Anleitung, bei Dokumentationspflichten mitzuwirken, Beurteilungspflichten, Zwischen- und Abschlussgespräche führen). Diese Anleitung ist integraler Bestandteil der Weiterbildung – ihre Finanzierung muss im Klinikbudget und in den Weiterbildungsambulanzen gesondert abgebildet werden.

Klinikfinanzierung: Reform löst Problem nicht

Auch die Hinweise auf eine angeblich „vollständige Tarifrefinanzierung“ im Zuge des Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetzes (KHWG, 2024) greifen zu kurz. Zwar erlaubt das Gesetz eine frühzeitige Tarifrefinanzierung der Beschäftigtengruppen, doch sind die zusätzlichen Weiterbildungskosten – insbesondere für Anleitung, Supervision und Weiterbildungsstruktur – darin nicht automatisch berücksichtigt.

Die aktuelle Rechtslage überlässt die konkrete Umsetzung den einzelnen Krankenhäusern und Kostenträgern – ein strukturelles Finanzierungsmodell für die Weiterbildung fehlt weiterhin.

Philipp Dausmann, Vertretung der Auszubildenden im Vorstand des bkj, macht deutlich: „Aus Sicht derjenigen, die aktuell in Weiterbildung sind, geht es nicht nur um Bruttosummen aus EBM-Rechnungen, sondern um die Frage, ob Weiterbildungsstellen tatsächlich existieren. Eine fehlende Finanzierung verhindert das und lässt viele Absolvent*innen des neuen Studienganges aktuell vor dem beruflichen Nichts stehen.“

PiW benötigen bezahlte Weiterbildungsstellen in ambulanten Weiterbildungsambulanzen, MVZ und Praxen, eine klare Budgetierung der Anleitungszeit approbierter Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*innen sowie transparente, verbindliche Regelungen auf Bundesebene zur Finanzierung der strukturellen Weiterbildungskosten. Diese Punkte sind notwendig, damit die Reformziele des neuen Psychotherapeutengesetzes erreicht werden können – andernfalls besteht die Gefahr, dass eigenständig agierende Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*innen nicht in ausreichender Zahl in die Versorgung gelangen.

bkj fordert strukturelle Nachbesserung

Der bkj fordert die Bundesregierung auf, die Finanzierung der psychotherapeutischen Weiterbildung sektorübergreifend und realistisch zu gestalten. Dazu gehört insbesondere:

  • Eigenständige Finanzierungspositionen für Supervision, Selbsterfahrung und Anleitung – sowohl für Weiterbildungsambulanzen als auch für Kliniken und MVZ.
  • Faire Refinanzierung der Anleitung in Kliniken: Die Zeit, die weiterbildungsbefugte approbierte Psychotherapeut*innen für die Ausbildung von PiW aufwenden, muss als Personalaufwand anerkannt und erstattet werden.
  • Keine Gleichstellung von PiW mit approbierten Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*innen bei der Leistungsbewertung oder Refinanzierung. Die PiW haben eine Approbation, jedoch keine Fachkunde (Gebiets- und Bereichsweiterbildung). Diese wird erst nach der Weiterbildung erlangt.
  • Transparenz und Monitoring: Jährliche Berichterstattung über tatsächliche Kosten und Zeitaufwände der Weiterbildung.
  • Einbindung der Fachverbände und Psychotherapeutenkammern in die Ausgestaltung der gesetzlichen Finanzierungsgrundlagen.

„Die Zukunft der psychotherapeutischen Versorgung hängt entscheidend davon ab, wie gut wir die nächste Generation ausbilden – und ob sie sich diese Ausbildung überhaupt leisten kann“, so Dr.in Inés Brock-Harder, Vorstandsvorsitzende des bkj, weiter. „Eine faire Finanzierung der Weiterbildung ist keine freiwillige Leistung, sondern eine notwendige Investition in die Versorgungssicherheit von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, welche heute schon massiv gefährdet ist.“

Insbesondere im Gebiet Psychotherapie für Kinder und Jugendliche besteht nach wie vor ein erheblicher Mangel an Weiterbildungsstätten im stationären Versorgungsbereich sowie im institutionellen Versorgungsbereich. Die derzeit vorhandenen Einrichtungen reichen nicht aus, um den aktuellen Weiterbildungsbedarf adäquat zu decken. Die Zukunft des Berufsbildes ist ungewiss. Sowohl für die PiW als auch für die Versorgung von psychisch erkrankten Kindern, Jugendlichen und ihren Familien bedeutet dies, Verunsicherungen in Kauf zu nehmen.

Für Rückfragen:

Dr. Inés Brock-Harder                                      Stephan Osten, M.Sc.Psych.            Philipp Julian Dausmann

brock-harder@bkj-ev.de                                  osten@bkj-ev.de                                 piavertretung@bkj-ev.de

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