„Emotional Load“ Wie Mütter frei von emotionaler Überlastung werden

Gelesen von Dr.in Inés Brock-Harder
Lange habe ich mich beim Lesen des wissenschaftlich fundierten und sehr praxistauglichen Ratgebers gefragt, woher mein ungutes Gefühl kam und wie ich dieses Buch objektiv rezensieren könne. Und was ich verstanden habe, ist, dass ich das nur aus der Perspektive einer Großmutter bewerten kann, ist es doch an die Generation meiner Kinder, die jetzt Eltern sind und werden, gerichtet.
Mein Unwohlsein speiste sich aus zwei Quellen:
- Wenn von den biographisch erfahrenen Mustern gegenwärtiger Eltern gesprochen wird, kann es nicht um mich und all die Mütter und Familien gehen, die ich kenne, in der die heutigen Eltern aufgewachsen sind. Wir fanden weder einen Klaps ok noch haben wir uns für die Bedürfnisse unserer Kinder nicht interessiert! Wir haben die natürliche Geburt proklamiert, unsere Babys nach Bedarf gestillt, bis zur Erschöpfung getragen und waren darüber hinaus - jedenfalls in den ostdeutschen Regionen - alle berufstätig.
- Bräuchte es ein solches Buch, wenn es nicht in den Jahren zuvor unzählige Bücher gegeben hätte, in denen proklamiert wurde, dass Kinder entscheiden, was die Eltern tun sollen und wie das Familienleben abzulaufen hat - zugegeben zugespitzt formuliert.
Jedenfalls gab es bei uns vor ca. 35 Jahren keine „high need babys“ - sondern eben Schreibabys, deren Eltern einfühlsam begleitet werden mussten. Auch wir haben die Familie gemanagt und uns für andere verantwortlich gefühlt, waren überfordert oder ausgebrannt ohne dass wir dafür einen Begriff wie „mental load“ hatten. Ich gehe davon aus, dass dieses Buch in erster Linie Mütter aus akademischen Milieus anspricht - schon alleine wegen des englischen Titels.
Aber zurück zur Betrachtung dieses Buches und seines Inhaltes und seiner Botschaft. Dazu kehre ich auf meine Position als Dozentin für Positive Psychologie und Empowerment im Master Klinische Psychologie zurück. Ein Kind hat u.a. das psychologische Grundbedürfnis nach Grenzen und Orientierung durch die Eltern. Ein Kind kann nur lernen mit negativen Gefühlen und Frustrationen umzugehen, wenn es diese auch erlebt.
Und ein Kind kann nur wachsen an der Bewältigung von Herausforderungen, wenn es diese auch erfahren kann. Mütter sehen sich selbst immer noch zu großen Teilen verantwortlich für das emotionale Wohlergehen ihrer Kinder und anderer Familienmitglieder, auch wenn sie in den modernen Milieus von sehr engagierten Vätern begleitet werden. Insofern hat das Buch seine Berechtigung. Es ist angefüllt mit Praxisbeispielen, auflockernden Graphiken, Selbstreflexionen und Übungsaufgaben. Das Anliegen der Autorin ist aus scharfer Beobachtung gespeist, jedoch besteht auch bei diesem Buch die Gefahr, dass der unnötige Perfektionsanspruch an die Erziehung der Kinder gekoppelt mit dem Anspruch für sich selbst gut zu sorgen, die Latte wieder sehr hochlegt. Metaphern, wie der Rucksack emotionaler Lasten oder die emotionale Muskelmasse sind dabei auch wenig hilfreich. Außerdem werden viele englische Begriffe benutzt, deren Mehrwert sich nicht erschließt, z.B. „People Pleasing“
Und jetzt kehre ich zu mir als Großmutter zurück: Immer, wenn von der Elterngeneration (also meiner) gesprochen wird, geht es um das, was schlecht gelaufen ist. Wie wäre es denn, mal nach dem zu suchen, was die eigenen Eltern toll gemacht haben, was bereichernd war und Vorbildwirkung hatte. Und ein letzter wissenschaftlich fundierter Hinweis an die Autorin zum Beispiel „Wenn die Großmutter in die Beziehung funkt“: Großeltern gleichen intuitiv das aus, was das Kind von seinen Eltern nicht bekommt: entweder Verwöhnung oder eben Orientierung, sprich sie bereichern das Kind mit zusätzlichen Modellen vom Umgang miteinander und das Spannende ist, Kinder können unterscheiden, wer, was und wie macht. Großeltern sind also eine sinnvolle Ergänzung zum eigenen Erziehungsstil, weil sie etwas Zusätzliches anbieten und die Enkel profitieren davon - nachweislich!
Insgesamt kann das Buch als Wegweiser zur Ermutigung gelesen werden, dabei werden fundierte wissenschaftliche Modelle aufgegriffen. Wem diese Mischung gefällt, der kann sich das Buch hinlegen und immer mal wieder ein Impuls-Kapitel daraus lesen.
Autorin: Susanne Mierau
Beltz Verlag 2025, 256 Seiten
ISBN 978-3-40786-833-6