Juhu, ich bekomme ein Geschwisterchen

Gelesen von Dr.in Inés Brock-Harder
Neugier an diesem neuen Kinderbuch hat mich motiviert, es mit dem Blick einer Expertin für dieses Thema zu lesen. Um es vorwegzunehmen: die Stärke des Kinderbuches liegt in seinem an Eltern adressierten Teil. Dass der Bindungsaufbau zum Ungeborenen nicht nur über Ultraschallbilder gelingen kann, wird durch andere Empfehlungen zur Interaktion durch die Bauchdecke ergänzt. Die Intension von „Wir bekommen ein Baby.“ zu reden ist einleuchtend, setzt aber voraus, dass das Erstgeborene bereits ein stabiles Ich-Konzept und Wir-Gefühl etabliert hat, was in der empfohlenen Altersgruppe individuell ganz verschieden sein kann.
Das erscheint mir auch das Hauptproblem des Buches zu sein, denn die angegebene Altersgruppe ist mit 2-4 Jahren noch mitten im Trotzalter, so dass viele der Gefühle, die mit dem Baby in Verbindung gebracht werden könnten, auch entwicklungsangemessene Affektdurchbrüche sein können, die normal sind und nichts mit dem Baby zu tun haben müssen. Auch wenn es ein guter Altersabstand für Geschwister ist, sind diese Kleinstkinder eben noch zu jung für eine gemeinsame gute Vorbereitung auf die Familienerweiterung. Eigene Babybilder zu zeigen z.B. setzt ein Zeitgefühl voraus. Eine Empfehlung möchte ich jedoch positiv hervorheben: Verwandte und andere Besuche darum zu bitten, sich zunächst dem Kleinkind zuzuwenden und ihm vielleicht eine Aufmerksamkeit mitzubringen, kann die beängstigende Fokussierung auf den Neuankömmling verringern.
Nun zum Kinderbuch: Sicherlich ist es für diese Zielgruppe grundsätzlich angemessen, Parallelen im Tierreich zu nutzen. Eine Ente ist dann aber doch so weit weg von menschlichem Familienleben, dass dies aus meiner Sicht unrealistisch konstruiert ist. Beleg dafür ist u.a. der eigentlich berührende Satz am Ende des Buches: „In Mamas und Papas Herz und auf ihrem Schoß ist genug Platz für uns alle.“ … weil da auf dem Sofa (?) eben kein Platz für 8 kleine Geschwister und das Erstgeborene ist. Enten haben eben nur gleichalte Geschwister, weil die vorherige Brut bereits selbständig ist und die Eltern verlassen hat. Genannt seien hier noch viele positive Ansätze für ältere Geschwister, die aber weder für Zwei- bis Dreijährige noch für Enten passen: niedliche Erscheinung (Kindchenschema), Hilfe und Unterstützung, Nachahmungslernen, Vorsicht im Umgang und Sensibilität für Säuglingsbedürfnisse.
Freude an der Begegnung mit dem Neugeborenen ist eine zu hohe Erwartungshaltung, die im Kinderbuch darüber hinaus transportiert werden soll. Kleinstkinder können noch nichts damit anfangen, dass ihnen da ein zukünftiger Spielkamerad heranwächst.
Autorin: Stefanie Rietzler
Autor: Fabian Grolimund
Illustrator: Marcus Wilke
hogrefe Verlag
1. Auflage 2024, 48 Seiten
ISBN: 978-3-45686335-1